Dissertation
Schlussbetrachtung
Die Anforderungen an den Entwurf bei der Entwicklung von mikromechanischen Bauelementen bedingen den Einsatz rechnergestützter, numerischer Berechnungsmethoden, um sich überlagernde nichtlineare Effekte, anisotrope Materialeigenschaften und die elektro-thermo-mechanischen Wechselwirkungen bei Mehrschichtsystemen beschreiben zu können. So kann beispielsweise die Optimierung mikromechanischer Resonanzsensoren nur unter gleichzeitiger Betrachtung der statischen und dynamischen Eigenschaften unter Berücksichtigung des physikalischen Anregungsprinzips erfolgen.
Mit den im Rahmen dieser Arbeit entwickelten FE-Modellen in Verbindung mit den Möglichkeiten des kommerziellen Programmsystems ANSYS wurden gekoppelte Feldberechnungen durchgeführt und das Verhalten piezoelektrisch betriebener Sensoren untersucht. Damit ließen sich bereits in der Entwurfsphase wichtige Vorgaben, wie z.B. die günstigste Elektrodenanordnung und das optimale Schichtdickenverhältnis, für die nachfolgenden technologischen Prozeßschritte ableiten.
Die durchgeführten Untersuchungen haben gezeigt, daß die Methode der Finiten Elemente geeignet ist, das dynamische Verhalten mikromechanischer Strukturen zu beschreiben. Weiterhin wurde gezeigt, daß bei der Berechnung der Resonanzfrequenzen und Schwingungsmoden, sowie der lastabhängigen Resonanzfrequenz-änderungen eine gute Übereinstimmung mit den Meßergebnissen erzielt werden konnte. Insbesondere haben sich die Stärken der FE-Methode bei der Behandlung folgender Problemstellungen herausgestellt:
- Berücksichtigung nichtlinearer geometrischer Effekte, insbesondere der Spannungsversteifung bei großen Auslenkungen und Deformationen der Mikrostrukturen.
- Strukturierung der Elektroden zur selektiven Anregung von Schwingungsmoden und Unterdrückung von unerwünschten Oberwellen. Desweiteren erlauben Siliziumsensoren in Bimorph– und Mehrschichtaufbau durch eine geeignete laterale Schichtstrukturierung eine Temperaturkompensation der Sensorkennlinien.
- Modellierung des elektro-mechanischen Sensorverhaltens unter Berücksichtigung des piezoelektrischen Antriebsprinzips, mit dessen Hilfe die Ableitung elektrischer Kenngrößen (Impedanz- und Phasenverhalten)
in Abhängigkeit geometrischer Randbedingungen möglich ist. Eine Variation der Schichtdickenverhältnisse erlaubt eine Optimierung der erzielbaren effektiven elektromechanischen Kopplungsfaktoren. - Untersuchung des Einflusses der Resonatorquerschnitte und Einspannbereiche auf das Schwingungsverhalten mikromechanischer Resonatoren. Durch Einführung von Entkopplungsbereichen lassen sich Modenkopplungen erheblich unterdrücken.
- Die Einspanneffekte und die Hebelwirkung beim BOD-Drucksensor lassen sich bei dem vorgestellten komplexen Sensorentwurf nur noch numerisch optimieren.
Finite Element Methode
Die Vorteile der FE-Methode bestehen darin, komplexe Geometrien unter vielfältigen Randbedingungen zu modellieren, Parameterstudien durchzuführen und Geometrie- und Materialeinflüsse separat betrachten zu können. Hierbei ist die Stärke der FE-Methode weniger die Berechnung von absoluten Größen und quantitativen Ergebnissen, die zwar bei korrekten Eingangsdaten (Dieses sind im wesentlichen die Strukturgeometrie, das Materialverhalten und die zugrundeliegenden Randbedingungen.) prinzipiell möglich sind, aber oft einen erheblichen Modellieraufwand und entsprechende Rechnerressourcen erfordern, sondern vielmehr die Berechnung der relativen Abhängigkeiten von den Modellparametern. Auf diese Weise können Parametervariationen und Sensitivitätsanalysen durchgeführt und mikromechanische Strukturen am Rechner analysiert und bereits im Vorfeld optimiert werden. Die FE-Methode hat sich dabei als ein effizientes Werkzeug bei der Entwicklung von mikromechanischen Strukturen erwiesen.
Einschränkungen
Einschränkend bleibt jedoch festzuhalten, daß beim mikromechanischen Entwurf der Einsatz der FE-Methode an einigen Stellen auch an ihre Grenzen stößt. So gehen die zugrundeliegenden Differentialgleichung, auf die in Kapitel 3 eingegangen wurde, beispielsweise von geschwindigkeitsproportionalen Dämpfungseffekten aus und erlauben nur die Behandlung kleiner Schwingungsamplituden. Dynamische Nichtlinearitäten, wie sie beim anharmonischen Oszillator oder bei chaotischem Systemverhalten auftreten können, lassen sich nicht erfassen. Um sie zu beschreiben muß auf vereinfachte analytische Ersatzmodelle zurückgegriffen werden, die in der Regel von Schwingern mit einem Freiheitsgrad ausgehen {Pra93, Til93}. Weiterhin sind die kopplungsbeschreibenden Konstanten bei gekoppelten Feldberechnungen weitgehend unbekannt. Erschwerend kommt hinzu, daß die Materialeigenschaften in der Regel anisotrop sind und in erster Näherung daher isotrope Ersatzdaten ermittelt werden müssen. Außerdem sind die zugrundeliegenden physikalischen Effekte nichtlinear, so daß bei den beschreibenden Zustandsgleichungen Tensorbeiträge höherer Ordnung zu berücksichtigen sind. Diese sind in den kommerziellen und auch in den meisten an Hochschulen entwickelten FE-Programmen nicht implementiert.
Weitere Beispiele für nicht erfaßte gekoppelte Effekte ist die Elektrostriktion oder die Pyroelektrizität, sowie die Magnetostriktion, bei der die Kopplung zwischen einem „äußeren Magnetfeld und der Strukturmechanik in mikromechanischen Aktoranwendungen ausgenutzt wird. Eine Möglichkeit zur Modellierung solcher Effekte besteht in der Ausnutzung von Analogien, aufgrund der gleichen mathematischen Beschreibungsweise. Unter gewissen Vernachlässigung und in einigen Sonderfällen kann mit den FE-implementierten thermodynamischen Zustandsgleichungen und den nichtlinearen numerischen Lösungsalgorithmen gerechnet werden {Goetz}. Ein weiteres Problem stellen die Materialeigenschaften dar, die zusätzlich von den thermodynamischen Randbedingungen abhängig sind, d.h. ob isotherme oder adiabatische Bedingungen vorliegen. Zukünftig sind hier weitere Anstrengungen notwendig, um die technologischen und meßtechnischen Arbeiten zu koordinieren und die nötigen Informationen in den Entwurfsprozeß einfließen zu lassen.
Ausblick
Als Ausblick sollen an dieser Stelle einige mögliche Anwendungen dynamisch betriebener mikromechanischer Strukturen abschließend aufgezeigt werden:
- Resonante Multimode-Drucksensoren können in verschiedenen Schwingungsmoden betrieben werden, deren Resonanzfrequenzen sich durch unterschiedliche Druck- und Temperaturempfindlichkeiten auszeichnen.
Auf diese Art ist eine Temperaturkompensation on-line möglich, da zwischen den verschiedenen Schwingungsmoden während des Meßbetriebs umgeschaltet werden kann. - Mikromechanische Schwinger lassen sich als Teststrukturen zur Bestimmung von Dünnschichteigenschaften einsetzen, falls die Materialeigenschaften des Substrates bekannt sind und Biegeschwingungsmoden gezielt angeregt werden. Über die Messung der Resonanzfrequenzverschiebung läßt sich die innere Spannung der Dünnschichten bestimmen. Weiterhin können mit Hilfe des effektiven elektromechanischen Kopplungsfaktors die piezoelektrischen Eigenschaften von Dünnschicht-Piezoelektrika charakterisiert werden.
- Multimode-Aktoren lassen sich resonant ansteuern und weisen durch die verschiedenen Schwingungsmoden unterschiedliche Bewegungsmöglichkeiten auf. Ein zusätzlicher Vorteil stellt die um die mechanische Schwingungsgüte erhöhte Amplitudenvergrößerung im Resonanzfall dar (siehe Gleichung {qmess}. Auf diese Weise lassen sich Aktoranwendungen realisieren, die bei statischer Ansteuerung nicht durchführbar wären.
Die zukünftige Entwicklung wird zeigen ob die Anwendungen mikromechanischer Strukturen und die Integration in komplexen Mikrosystemen die heute in sie gesteckten Erwartungen bezüglich Zuverlässigkeit, Wirtschaftlichkeit und Funktionalität erfüllen können. Hierzu müssen neben den technologischen Herstellungsprozessen für eine wirtschaftliche Produktion von Mikrostrukturen und -systemen die Leistungsfähigkeit der bestehenden Entwicklungswerkzeuge erweitert und insbesondere im Bereich der Prozeßsimulation zum Teil neue Simulationsverfahren und -modelle entwickelt werden.
GitHub Repositories