Erschienen in “Mikroelektronik Band 6 – Fachbeilage Mikroperipherik”
Schwerpunktthema: “Modellierung von Komponenten der Mikrosystemtechnik”
Ausgabe: Januar / Februar 1992, Heft 1, S. II
Autor: Dipl.-Phys. Thomas Fabula (vollständige Artikelfassung)
“Finite-Elemente Modellierung in der Mikromechanik”
Präambel
Im Rahmen der Modellierung von mikromechanischen Komponenten nimmt die Methode der Finiten Elemente eine wichtige Rolle bei der Bauteilsimulation und vermehrt im Bereich der Prozeßsimulation ein. Durch zunehmend komplexer werdende Strukturgeometrien, verschiedenartige Materialzusammensetzung und die Notwendigkeit die Einflüsse von verschiedenen physikalischen Größen zu berücksichtigen, werden erhöhte Anforderungen an den Systementwurf gestellt. Die Lösung dieser Aufgaben bedingt den Einsatz entsprechender rechnergestützter, numerischer Simulationsverfahren.
Finite-Elemente Methode
Die Methode der Finiten Elemente (FE) wird im Bereich der makroskopischen Elastomechanik seit langem erfolgreich eingesetzt, um das mechanische Verhalten von Bauteilen zu berechnen. Das Prinzip beruht auf einer Unterteilung der Strukturgeometrie in Teilbereiche, aus denen die Gesamtstruktur durch eine diskrete Vernetzung approximiert wird. Eine Beschreibung der verwendeten zwei- bzw. dreidimensionalen Elemente erfolgt durch einen problemangepaßten mathematischen Ansatz für die gesuchten physikalischen Feldvariablen. Die Lösung der resultierenden Matrixgleichungen für die entsprechenden Freiheitsgrade erfolgt auf der Elementebene.
Zur Vereinfachung der Berechnungen, sowie zur Einsparung von Rechenzeit und Speicherbedarf werden weitgehend FE-Modelle mit Schalen- bzw. Plattenelementen unter Zugrundelegung isotroper Materialeigenschaften und eines linearen Bauteilverhaltens gewählt. Damit erhält man erste Näherungslösungen. Neben der Wahl der FE-Modellparameter, wie Elementansatz, -vernetzung und Randbedingungen, kann durch Variation der Geometrie- und Materialparameter das Strukturverhalten studiert und approximiert werden.
Bei der Modellierung mikromechanischer Komponenten stellt die teilweise ungenaue Kenntnis und der oft schwierige meßtechnische Zugang wichtiger Materialeigenschaften ein erhebliches Problem dar. Neben den richtungsabhängigen Kristalleigenschaften (Anisotropie) und der Temperaturabhängigkeit der Materialdaten, sind prozeßabhängige Effekte, wie zum Beispiel mechanische Verspannungen in Mehrschichtsystemen, zu berücksichtigen. Zusätzlich weichen beispielsweise die Elastizitätsmoduln von mikrotechnisch hergestellten dünnen Schichten erheblich von denen des Bulk-Materials ab.
Die zur Zeit erhältlichen, kommerziellen FE-Programmwerkzeuge bieten nur in Ansätzen die Möglichkeit, die vielfältigen Modellierungsanforderungen abzudecken. Im vorliegenden Beitrag werden einige Anwendungen der FE-Methode bei der Modellierung von Komponenten der Mikrosystemtechnik unter Berücksichtigung der dabei auftretenden Probleme vorgestellt.
Statische FE-Berechnungen
Gegenstand statischer Finite-Elemente Berechnungen ist die Untersuchung des Strukturverhaltens unter stationären Belastungen, wobei die Art der Belastungen unterschiedlich sein kann. Mechanische Lasten können direkt durch Kraft- oder Druckbeaufschlagung, Beschleunigung (z.B. Schockbelastung) oder Rotation (Fliehkräfte) auf die Mikrostrukturen einwirken. Unter Berücksichtigung der gültigen Symmetrie- und Randbedingungen (Einspannungen) werden die Bauteilverformungen, sowie die auftretenden mechanischen Spannungen berechnet.
Mikromechanische Elemente, wie Membranen, Balken- und Paddelstrukturen, zeigen unterschiedliche, sich überlagernde, nichtlineare Effekte, die beim Entwurf berücksichtigt werden müssen. Hierzu bieten sich FE-Berechnungen als geeignetes Werkzeug an, da die Flexibilität der Methode auch die Erfassung kleiner Störungen gestattet.
Die durch einen anisotropen, naßchemischen Ätzvorgang hergestellten dreidimensionalen Bauteilstrukturen, wie zum Beispiel Membranen, werden durch die ätzstoppbegrenzenden Kristallebenen festgelegt. Bei <100>-orientierten Siliziumscheiben (Wafer) legen schräge {111}-Ebenen die Einspannungsgeometrie der Bauteile fest. Die Art der so definierten Membranbefestigung kann einen wesentlichen Einfluß auf den Spannungszustand haben, indem sie zu einer Verschiebung der Orte maximaler Spannungskonzentration führt. Bei Siliziummembranen, die etwa halb so dick wie die Siliziumwafer sind, wandern die Spannungsextrema infolge der flexiblen Einspannung bis zu 3 % der Seitenlänge von der Membranaußenkante nach innen.
Als weiterer Effekt treten geometrische Nichtlinearitäten auf. Darunter versteht man eine lastabhängige Spannungsversteifung, die bei zunehmender Bauteilbelastung durch die Rückstellkräfte verursacht wird. Abhängig vom Verhältnis der Membrandicke zur Seitenlänge führen diese bei hoher Druckbeaufschlagung zu einer deutlich geringeren Membranauslenkung infolge positiver Zugspannungen im Membraninnern.
Die Nichtlinearität der Auslenkungs-Druck- bzw. Spannungs-Druck-Kennlinie beträgt bei hohen Drücken typischerweise einige Prozent. Um das Linearitätsverhalten zu verbessern, müssen große Membranauslenkungen verhindert werden. Hierzu kann die Membran mit einem strukturierten Mittelteil verstärkt werden (Boss-Membran). Seine Dimensionierung wird mit Hilfe dreidimensionaler FE-Berechnungen optimiert.
Die Berechnung des nichtlinearen Modellverhaltens bedingt eine iterative Vorgehensweise, bei denen die Bauteilbelastung sukzessive erhöht und die Bauteilsteifigkeit entsprechend dem Belastungszustand korrigiert werden muß.
Dynamische FE-Berechnungen
Dynamische Finite-Elemente Berechnungen ermöglichen die Ermittlung der Eigenfrequenzen und der zugehörigen Eigenschwingungsformen (Modalanalyse) von mikromechanischen Strukturen. Unter Einwirkung zeitabhängiger Belastungen, die periodisch oder impulsartig sein können, kann das zeitliche Strukturverhalten berechnet werden.
Bei der Modalanalyse können aufgrund der verschiedenen Strukturgeometrien und der spezifischen Resonatorcharakteristika, wie Materialeigenschaften und Randbedingungen, unterschiedliche Schwingungsformen entstehen. Während bei Siliziummembranen nur Biegeschwingungen und deren Oberwellen auftreten können, sind bei Quarzmembranen aufgrund der Kristallstruktur auch überlagerte, komplexe Schwingungsformen (z.B. Dickenscherschwingungen) möglich. Im Fall von Balkenresonatoren können bei beiden Materialien neben den Biegeschwingungen auch Längs- und Torsionsschwingungen, sowie Überlagerungen dieser Schwingungsformen auftreten.
Generell nimmt mit höherer Ordnung der Moden die Anzahl der Knoten und die Wahrscheinlichkeit für überlagerte Schwingungsformen zu. Die Ermittlung beispielsweise der Biegeresonanzfrequenzen von Kraftsensoren auf der Basis von Quarz-Doppelstimmgabeln ist bereits mit einfachen, zweidimensionalen FE-Modellansätzen möglich. Abweichungen zu experimentell gemessenen Werten betragen hier weniger als 2%.
Die Modellierung komplexer Schwingungsformen setzt allerdings eine dreidimensionale Formulierung, unter Berücksichtigung des anisotropen Materialverhaltens voraus. Als Beispiel hierfür ist in Bild 1 ein typisches Modenspektrum einer Quarz-Doppelstimmgabel dargestellt. Im unteren Frequenzbereich dominieren unterschiedliche Biegeschwingungen (y-, z-Richtung), während mit steigender Frequenz die Torsions- und überlagerten xyz-Schwingungszustände zunehmen.
Weiterhin kann man mit Hilfe dieser dreidimensionalen Formulierung die Einflüsse von Material- und Geometrieeffekten studieren. So führt beispielsweise der Unterschied zwischen isotropem und anisotropem Materialansatz bei Siliziummembranen zu einer Abweichung von etwa 3 % für die Eigenfrequenzen der Grundbiegeschwingungen. Ein weiterer Effekt tritt durch die schräge Randeinspannung bei Membranen und Balkenresonatoren aus Silizium auf, die eine Erniedrigung der Resonanzfrequenzen infolge verminderter Einspannungssteifigkeit bewirkt, die von etwa gleicher Größenordnung ist.
Über die Bestimmung der Eigenfrequenzen und -schwingungsformen hinaus, ist vor allem die Verschiebung der Resonanzfrequenz in Abhängigkeit von der Änderung der sie bestimmenden Parameter von Interesse. Dieser Effekt kann zur Bestimmung eines physikalischen Parameters genutzt werden und stellt das Funktionsprinzip frequenzanaloger Sensoren dar. Die Resonanzfrequenzänderung kann beispielsweise durch eine Massenanlagerung oder durch eine Änderung der mechanischen Verspannung im Resonator hervorgerufen werden, die durch eine direkte Krafteinwirkung oder durch Temperatureinfluß entsteht.
Die Berechnung der Kraft-Frequenz-Kennlinie (Kraftempfindlichkeit) und der Temperaturempfindlichkeit erfolgt durch eine nichtlineare, statische FE-Rechnung, mit welcher die durch die Meßgröße hervorgerufene Steifigkeitsänderung des Gesamtsystems bestimmt wird. Diese kann dann zur Ermittlung der Eigenfrequenzen des vorgespannten Systems herangezogen werden.
Darüberhinaus kann die lastabhängigen Frequenz-Kraft-Kennlinien für Siliziumkraftsensor bei unterschiedlichen Resonatorabmessungen berechnet werden. Die Erhöhung der Kraftempfindlichkeit ist mit einer Zunahme der Nichtlinearität der Kraft-Frequenz-Kennlinie verbunden, so daß durch eine geeignete Resonatordimensionierung der Arbeitspunkt des Sensors geeignet eingestellt werden kann. Der temperaturabhängige Resonanzfrequenzverlauf kann mit Hilfe nichtlinearer, dynamischer FE-Berechnungen für beliebige Kristallorientierungen (z.B. bei Quarz-Schwingern), unter Berücksichtigung der temperaturabhängigen, anisotropen Materialeigenschaften, ermittelt werden.
Ein weiterer Gesichtspunkt bei der Auslegung der oben beschriebenen frequenzanalogen Sensoren ist die Wahl der günstigsten Resonatorhalterung, um die Strukturdämpfung des Schwingers möglichst gering zu halten. In Abhängigkeit von der Strukturierung der Resonatorbefestigung kann eine geeignete Schwingungsentkopplung erreicht werden, die zu einer erhöhten Schwingungsgüte und einer verbesserten Modenselektion (Unimodalität) des Resonatorsystems führt.
Mit Hilfe der Frequenzganganalyse wird das Amplitudenspektrum der Eigenschwingungen unter Einbeziehung von Dämpfungseffekten für eine zeitabhängige Strukturanregung berechnet. Ein generelles Problem stellt allerdings die genaue Kenntnis der einzelnen Dämpfungs- und effektiven Anregungsbeiträge dar. Um eine geeignete Modellbildung vornehmen zu können, bedarf es daher experimenteller Messungen zur Charakterisierung der dynamischen Eigenschaften mikromechanischer Komponenten.
Gekoppelte Feldberechnungen
Komponenten der Mikrosystemtechnik zeigen aufgrund der Miniaturisierung und des hohen Integrationsgrad eine starke Wechselwirkung verschiedener physikalischer Einflußgrößen und weisen meist unerwünschte Querempfindlichkeiten auf. Zudem werden mikromechanische Komponenten resistiv, thermisch, elektrostatisch oder piezoelektrisch ausgelesen bzw. angeregt, so daß die Kopplung verschiedener Felder in den FE-Berechnungen berücksichtigt werden muß (z.B. Wärmefeld-Struktur, Piezoelektrizität). Die meisten kommerziell erhältlichen Simulationsprogramme sind nur teilweise für die Berechnung von gekoppelten Feldproblemen (Multiphysics) geeignet.
Ein FE-Programmsystem, das die Möglichkeit gekoppelter Feldberechnungen für die Mikromechanik bietet, ist das “multi-purpose” Programm ANSYS.
Voraussetzungen dafür sind das Vorhandensein adäquater physikalischer Modellansätze, sowie numerischer, nichtlinearer Lösungsverfahren. Die sogenannten Multi-Field-Elemente von ANSYS enthalten mehrere Freiheitsgrade für die unterschiedlichen Felder (Verschiebungen, Temperatur, elektrisches Potential und skalares Magnetpotential). Die Berechnung der gekoppelten Feldprobleme erfolgt iterativ oder durch die Berücksichtigung einer Wechselwirkung direkt auf der Elementebene, die die Kopplung beschreibt.
So kann bei mikrotechnischen Herstellungsprozeßen, bei denen wärmeinduzierte Verspannungen entstehen (Ofenprozesse, Lasermaterialbearbeitung, Bondprozesse), die FE-Methode zur Prozeßsimulation eingesetzt werden. Im Gegensatz zu reinen Temperaturfeldberechnungen, bei denen die Temperaturverteilung unter Vorgabe der Anfangs- und Randbedingungen, sowie der einwirkenden Wärmelasten ermittelt wird, ist es bei den gekoppelten Berechnungen möglich, die mechanischen Verspannungen in Multilayer-Schichten, hervorgerufen durch unterschiedliche thermische Ausdehnungskoeffizienten und Temperaturabhängigkeit der Elastizitätsmoduln, zu bestimmen. Die Kopplung zwischen dem Wärmefeld und der Struktur erfolgt zwischen den Verschiebungsfreiheitsgraden der drei Raumrichtungen und der Temperatur.
Die Modellierung des piezoelektrischen Effektes, der Wechselwirkung zwischen den räumlichen Verschiebungen und dem elektrischen Feld, erfolgt durch eine Kopplung direkt auf der Elementebene. Der implementierte Ansatz erlaubt es das statische und dynamische Verhalten von linear piezoelektrischen Medien mit anisotropen Materialeigenschaften zu untersuchen. Insbesondere kann die dielektrische Dämpfung durch einen komplexen Dielektrizitätstensor berücksichtigt werden.
So lassen sich beispielsweise mikromechanische Resonatoren, die durch piezoelektrische Dünnschichten angeregt werden, und piezokeramisch angesteuerte Komponenten der Aktorik modellieren. Im Gegensatz zu einer mechanischen Anregung erfolgt diese direkt durch die elektrischen Feldgrößen, so daß unter Berücksichtigung der elektromechanischen Wandlung das mechanische Strukturverhalten berechnet und verschiedene elektrische Kenngrößen abgeleitet werden können. Als Beispiel ist in Bild 2 der frequenzabhängige Impedanzverlauf einer Siliziummembran dargestellt, die durch eine hybrid aufgeklebte Piezokeramik dynamisch angesteuert wird.
Zusammenfassung
Der Entwurf, die Simulation und die Optimierung von Komponenten der Mikrosystemtechnik ist nur durch eine gleichzeitige Berücksichtigung verschiedener Problemfelder möglich. Beispielsweise kann eine Optimierung mikromechanischer Resonatoren nur erreicht werden, wenn die statischen und dynamischen Eigenschaften gleichzeitig betrachtet, und der Einfluß der Anregung und Abtastung (Elektronik) berücksichtigt wird.
Ziel zukünftiger Arbeiten ist daher die Entwicklung von angepaßten FE-Simulationsmodellen unter Einbeziehung der mikrotechnischen Anforderungen. Darüber hinaus sind zur Verbesserung der beschriebenen Modelle experimentelle Untersuchungen, beispielsweise an Teststrukturen erforderlich.
Literatur
Mikromechanik: Einführung in Technologie und Anwendungen
- Autor: Prof. Dr.rer.nat. Stephanus Büttgenbach
- Taschenbuch: 244 Seiten
- Verlag: Teubner Verlag, Stuttgart
- Auflage: Nr. 1 (1991)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3519130718
- ISBN-13: 978-3519130710
Mikromechanik
“Die Mikromechanik befaßt sich mit Entwurf, Herstellung und Anwendung dreidimensionaler mechanischer Strukturen und Systeme, deren Abmessungen in mindestens einer Dimension so klein sind, daß feinmechanische Formgebungsverfahren nicht mehr sinnvoll eingesetzt werden können. Statt dessen nutzt die Mikromechanik Methoden und Materialien der Halbleitertechnologie, die sich ganz allgemein zur Erzeugung von Strukturen im Mikrometerbereich eignen.” ~ Stephanus Büttgenbach